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Luftspiegelungen im Watt

von Matthias Hünsch


An den Küsten von Nord- und Ostsee, inbesondere jedoch im Wattenmeer, lässt sich häufig ein Naturphänomen beobachten, das man eher mit heißen, trockenen Wüsten in Verbindung bringt - Luftspiegelungen. Entfernte Objekte - Schiffe, Seezeichen, Warften - scheinen in der Luft zu schweben, sind nur teilweise sichtbar, und die Horizontlinie ist gar nicht mehr richtig auszumachen

Trockengefallen im Watt
Abb. 1: Trockengefallenes Schiff im Watt. Man erkennt deutlich, wie der blaue Teil des Rumpfes gespiegelt wird.

Luftspiegelungen sind ein Phänomen, das mit der Lichtbrechung zusammenhängt. Tritt Licht von einem Medium in ein anderes, erfährt es an der Grenzfläche eine Ablenkung seiner Ausbreitungsrichtung (Abb. 3). Bekannt ist dieser Effekt vor allem am Übergang von Luft in Wasser: Ein gerader Stiel, schräg ins Wasser gehalten, scheint genau an der Wasseroberfläche einen Knick zu haben. Aber natürlich hat nicht der Stiel einen Knick, sondern nur das Licht, das vom Stiel in unser Auge gelangt, erfährt an der Wasseroberfläche eine Ablenkung. Der Betrag dieser Richtungsänderung hängt zum einen ab von dem Winkel, in dem das Licht auf die Grenzfläche trifft, zum anderen von einer materialspezifischen Größe, dem Brechungsindex, auch Brechzahl genannt. Genauer betrachtet ist es das Verhältnis der Brechzahlen der beiden Medien, also z.B. von Luft und von Wasser.

Cuxhaven als Spiegelung
Abb. 2: Häuser und Kräne von Cuxhaven, aufgenommen vom Kleinen Vogelsand aus. Teile der Gebäude sind nach unten gespiegelt. Die dort stehenden Wasservögel beweisen, dass die Spiegelung nicht an einer Wasserfläche erfolgt.

Nun ist der Brechungsindex der Luft keine Naturkonstante. Dieser Wert hängt nämlich von der Dichte der Luft ab, und diese wird wiederum von Druck und Temperatur der Luft bestimmt. Dichtere Luft hat einen größeren Brechnungsindex als dünnere Luft. Tritt also Licht aus dünnerer Luft in dichtere Luft, wird es ebenfalls in seiner Richtung abgelenkt. Allerdings ist der Unterschied in den Brechungszahlen sehr gering, die Ablenkung demzufolge auch kaum wahrnehmbar. Der Effekt ist aber trotzdem wichtig, z.B. für die astronomische Navigation: Das Licht der Gestirne tritt aus dem Weltraum - also dem luftleeren Raum - in die zunehmend dichtere Lufthülle der Erde. Dadurch wird es abgelenkt. Nun wird die Luft zur Erdoberfläche hin nicht schlagartig, sondern eben allmählich dichter. Das hat zur Folge, dass das Licht keinen scharfen Knick macht, sondern sich entlang einer leicht gekrümmten Linie ausbreitet (Abb. 4). Das führt zu einer leichten Hebung des beobachteten Gestirnsortes gegenüber dem wahren Gestirnsort. Am Horizont ist der Effekt deutlich: Wenn man die Sonne am Horizont untergehen sieht, ist sie in Wahrheit längst untergegangen! In der astronomischen Navigation muss dieser Refraktion genannte Effekt als Teil der Gesamtbeschickung berücksichtigt werden.

Strahlengang Grenzflaeche
Abb. 3: Tritt Licht auf die Grenzfläche zweier Medien, wird es in seiner Richtung abgelenkt.

Wie kommt es nun zu den Luftspiegelungen? Dicht über der Erdoberfläche ändert sich die Dichte der Luft nicht so sehr durch Druckänderungen, sondern viel mehr durch Temperaturschwankungen. Wird Luft erwärmt, dehnt sie sich aus - wird dadurch``leichter'', also weniger dicht. Mitunter treten recht starke Temperaturdifferenzen auf wenigen Metern Höhenunterschied auf, z.B. wenn die Sonne den Erdboden stark erwärmt, und dieser dann die direkt darüberliegende Luft erwärmt. Natürlich resultiert das dann in einem deutlichen Dichteunterschied, und Licht, das durch diese Luftschicht hindurch muss, wird wiederum leicht abgelenkt. Wohlgemerkt, es ist nur eine ganz leichte Ablenkung, und sie fällt uns normalerweise kaum auf. Aber wenn das Licht ganz flach, in einem streifenden Winkel, auf diese Luft fällt, kann diese kleine Ablenkung dazu führen, dass das Licht gerade eben nicht in die Luft eindringen kann, sondern wieder nach oben heraustritt, also faktisch an der erwärmten Luftschicht reflektiert wird. Dieser flache Winkel ist nur bei sehr weit entfernten Objekten gegeben. Luftspiegelungen treten demzufolge nur auf, wenn das Licht weit entfernter Objekte auf eine schmale, erwärmte Luftschicht dicht über dem Erdboden auftrifft. Man bezeichnet dieser Form als untere Luftspiegelung. Sie ist die mit Abstand häufigste und am leichtesten zu beobachtende Variante der Luftspiegelungen.

Strahlengang Atmosphaere
Abb. 4: Das Licht der Gestirne erfährt beim Durchgang durch die nach unten hin zunehmend dichter werdende Lufthülle der Erde eine allmähliche Ablenkung. Wir sehen die Gestirne stets in größerer Höhe über dem Horizont, als das tatsächlich der Fall ist. Die Refraktion ist am Horizont am stärksten und im Zenit gleich null.

In der Natur sind diese Voraussetzungen am ehesten dann erfüllt, wenn die Sonne das Erdreich besonders stark erwärmt, so dass die Luft direkt darüber (wenige Meter bzw. Dezimeter) ebenfalls erwärmt ist, die höheren Luftschichten aber vergleichsweise kühl sind. Man findet solche Bedingungen in der Wüste, aber auch in unseren Breiten, insbesondere über dunklen, bebauten Flächen, wie z.B. Straßen. Jeder hat schon einmal gesehen, wie die Scheinwerfer entfernter Autos doppelt übereinander erscheinen, sich in der Straße spiegeln. Auch der Effekt, dass eine Straße in der Entfernung ``nass'' erscheint, ist eine untere Luftspiegelung. Hier wird einfach das blaue Himmelslicht über der heißen Straße gespiegelt. Normalerweise sieht man das in der freien Natur nur über glatten Wasserflächen, daher unser Eindruck von ``Wasser'' auf der Straße.

Tatsächlich kann man aber auch über Wasserflächen Luftspiegelungen beobachten. Das kann dann vorkommen, wenn sich kalte Luftschichten über noch warmes Wasser schieben, was besonders im Herbst oder am frühen Morgen der Fall ist. Fast das ganze Jahr über kann man Luftspiegelungen im Wattenmeer beobachten. Die Sonne erwärmt das relativ dunkle, trockenfallende Watt ziemlich schnell, dieses wiederum die bodennahen Luftschichten, während kalte Luft von See her darüber geweht wird. Es kommt nicht auf die Temperatur der bodennahen Luft selbst an, sondern auf den Temperaturunterschied innerhalb der Luftschichten über dem Erdboden.

Strahlengaenge bei Spiegelungen
Abb. 5 a
(a) Bei einer unteren Luftspiegelung werden die Lichtstrahlen in einer dünnen Schicht erwärmter Luft über dem Erdboden so abgelenkt, dass sie wieder nach oben gerichtet sind. Für alle Teile des Leuchtturms oberhalb der kritischen Linie (hier: die schwarze ``Bauchbinde'') gibt es zwei mögliche Wege, wie das Licht in das Auge des Betrachters fallen kann (oberer direkt, unterer gespiegelt). Unterhalb der kritischen Linie wird das Licht in jeder Richtung so stark abgelenkt, dass es nie den Betrachter erreicht (blaue Lichtstrahlen). Der obere Teil des Leuchtturms ist doppelt zu sehen, der untere Teil bleibt dem Betrachter verborgen (b).

Bild mit kritischer Linie
Abb. 5 b

Betrachtet man Abb. 5a genauer, versteht man die Form der Luftspiegelung. Zunächst ist zu sehen, dass das gespiegelte Bild auf dem Kopf steht. Weiterhin bleibt der untere Teil des Gegenstandes dem Betrachter ganz verborgen. Alle Lichtstrahlen werden durch die Refraktion in den unteren Luftschichten nach oben abgelenkt, keiner hat die Chance, waagerecht über dem Erdboden laufend das Auge des Beobachters zu erreichen. Es gibt so etwas wie eine kritische Linie, oberhalb derer der entfernte Gegenstand direkt zu sehen ist, während unterhalb davon nur das gespiegelte Bild des oberen Teils zu sehen ist (Abb. 5b, 6, 7, 8).

Foto mit kritischer Linie
Abb. 6: Untere Luftspiegelung eines Containerschiffs. Nur die Decksaufbauten und Container sind doppelt sichtbar: aufrechtstehend direkt sowie kopfstehend gespiegelt. Der Rumpf befindet sich unterhalb der kritischen Linie und ist daher nicht zu sehen.

Es gibt auch obere Luftspiegelungen, die allerdings wesentlich seltener auftreten (Abb. 9). Hierzu müssen die Verhältnisse genau umgekehrt sein: Über einer bodennahen kühleren Luftschicht liegt eine Schicht wärmerer Luft. Man bezeichnet das als Temperaturinversion, denn normalerweise nimmt die Temperatur mit der Höhe ab. Zu beobachten ist das Phänomen am ehesten in den Polargebieten über geschlossenen Packeisfeldern. Bei uns kommt es manchmal vor, wenn sich im Frühjahr eine warme Luftmasse über das noch kalte Meer schiebt. Obere Luftspiegelungen können sowohl kopfstehende als auch aufrechte Spiegelbilder erzeugen. Je nach Temperaturschichtung der Luft können sogar mehrere Spiegelbilder sichtbar sein. Eine Besonderheit der oberen Luftspiegelungen ist, dass auch unter dem Horizont stehende Objekte als Spiegelbild sichtbar sein können. So gilt es z.B. als verbürgt, dass in der Dänemarkstraße zwischen Island und Grönland gelegentlich obere Luftspiegelungen beider Inseln zu sehen sind, owohl es wegen der Erdkrümmung nie direkte Landsicht geben kann. Die Wikinger sind somit auf ihren Entdeckungsfahrten Richtung Amerika nicht ganz ins Ungewisse gefahren. Die Entfernung des gespiegelten Landes bleibt zwar völlig unklar, die Richtung aber wird durch Luftspiegelungen nicht verändert.

Foto mit kritischer Linie
Abb. 7: Bäderschiff und Segelboot gesehen vom Watt vor Neuwerk aus. Die kritische Linie verläluft etwa in Höhe der Rumpfoberkante. Das Bäderschiff hat tatsächlich nur eine Fensterreihe.

Luftspiegelungen sind eine faszinierende Naturerscheinung. Sie erhalten ihren besonderen Reiz noch dadurch, dass die Veränderungen in der Lufttemperatur nicht gleichmäßig und zudem zeitlich variabel sind. Das äußert sich in oftmals grotesk verzerrten, wabernden und flimmernden Spiegelbildern. Im Fernglas betrachtet, ist ihr Anblick oft atemberaubend!

Entfernungsabhaengigkeit
Abb. 8: Wattwanderer vor Schiff im Hintergrund, jeweils mit unteren Luftspiegelungen. Der Wattwanderer ist fast vollständig zu sehen, vom Schiff hingegen nur die Aufbauten. Je weiter das Objekt entfernt ist, desto höher die kritische Linie.

Strahlengang obere Spiegelung
Abb. 9: Eine obere Luftspiegelung kommt zustande, wenn die von einem entfernten Objekt kommenden Lichtstrahlen an einer hochliegenden Schicht erwärmter Luft (Temperaturinversion) gebrochen werden. Je nach Temperaturprofil sind hier sehr unterschiedliche Lichtwege denkbar. Die Bilder können sowohl aufrecht als auch kopfstehend sein.

 

 

Aus: palstek 1/2000 (Jan. 2000)

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© Leuchtturm-Atlas, Letzte Änderung: 2000-01-01